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Verzicht

Wir verzichten

Verzicht schmeckt bitter.

Verzicht schmeckt sauer, so als würde ich in eine Zitrone beißen, mein Gesicht zieht sich zusammen, nicht schön. Verzicht ist eher trocken, spröde, knorrig – oder eisig, schneidend, unbelebt, jedenfalls ungeliebt.

Verzicht ist:

EntsagungEnthaltungEinschränkungAbstinenzAskeseRückzug – Einfachheit – MäßigungAnspruchslosigkeitBeherrschungEnthaltsamkeitEntwöhnungEntbehrungHingabeAufopferung

Warum verzichten wir?

Weil ich muss.

Weil etwas verboten ist, und weil bei Verstoß Strafe droht; dann ist der Verzicht erzwungen.

Weil ich will.

Ich will verzichten, weil ich für den Verzicht etwas bekomme, eine Art Belohnung.

Wenn ich z.B. auf den Genuss von Süßigkeiten verzichte, dann nehme ich vielleicht etwas ab, und es ist gut für meinen Körper. Das ist die Belohnung – für mich.

Oder ich verzichte für andere. Wenn ich auf Nachtschlaf verzichte, um mich um mein krankes Kind zu kümmern, dann ist das gut für mein Kind. Mein Kind ist mir sehr nahe, da verzichte ich gerne, da schmeckt der Verzicht vielleicht nicht ganz so bitter. Und es gibt eine Belohnung, denn wenn ich mich ums Kind kümmere, dann wird es wieder gesund und somit der Normalzustand wieder hergestellt. Vielleicht gibt es als Belohnung zusätzlich noch Dankbarkeit.

Für wen bin ich noch bereit, zu verzichten?

Für meine Familie, für Freundinnen und Bekannte. Für Menschen aus dem gleichen Haus, der gleichen Straße, dem gleichen Ort, dem gleichen Land, dem gleichen Planeten? Wie definierst du „wir“ und „uns“? Kannst du deine Empathie über die eigene Gruppe hinaus erweitern? Gemeinwohl statt Eigenwohl, Gemeinsinn statt Eigensinn.

Wie lange bist du bereit zu verzichten?

Der Marshmallow-Test

In den 1960er Jahren setzte Walter Mischel meist vierjährige Kinder allein in einen Raum. Auf dem Tisch vor ihnen lag ein Marshmallow. Jetzt hatten sie die Wahl, entweder das Marshmallow zu essen, oder nach einer kleinen Wartezeit ein zweites dazu zu bekommen. Nur 30% schafften es, zu warten.

Jahrzehnte später: Kinder, die es geschafft hatten zu warten, waren später meist besser in der Schule, hatten die anspruchsvolleren Berufe und die stabileren Beziehungen. Sie gingen besser mit Stress und Frustration um. Quelle: Tagesspiegel, 07.02.2021

 

Wer also seine Wünsche, Begierden und Triebe beherrschen kann und geduldig ist, kann anschließend die Belohnung für seinen (kurzfristigen) Verzicht genießen.

Kannst du verzichten, wenn andere es nicht tun?

Was kann ich allein schon erreichen? Nur wenn die anderen auch, oder besser, zuerst verzichten, dann tue ich das auch. Doch – du allein entscheidest, wer du sein willst. Bist du selbstdiszipliniert (tapas) oder lässt du dich vom einmal eingeschlagenen Weg abbringen?

Wie kann Yoga helfen?

Ich kann versuchen, den Blick auf das Positive zu lenken, auf alles was da ist, auf die Fülle, nicht auf den Mangel. Aber das gelingt nicht immer, schließlich will ich mich nicht slebst belügen. Ich nehme meine Gefühle wahr, im Sinne von satya, der Wahrhaftigkeit. Auch wenn es anderen schlechter geht als mir. Ich kann mich fragen, welches Gefühl dahinter steht, und mit meinen Gefühlen „arbeiten“.

Vielleicht bestärkt dich die Vorstellung, dass alle Menschen im Wesenskern miteinander verbunden sind. Das ist das Konzept von Tat Tvam Asi – Das bist Du. Vielleicht hilft dieser Gedanke, das Mitgefühl auszudehnen.

 

Auch in den yamas und niyamas ist einiges über Verzicht zu finden:

asteya = nicht stehlen/nichts für mich beanspruchen

brahmacharya = reduzieren auf das Wesentliche/Enthaltung/Entsagung

aparigraha = nicht greifen/nicht gierig sein

samtosha = zufrieden sein (mit dem was da ist)

tapas = Askese/Selbstdisziplin (auch wenn es anstrengend ist)

ishvarapranidhana = Hingabe (ist dann der absichtslose Verzicht, ohne nach einer Belohnung zu lechzen).

 

Die Beschäftigung mit der Yoga-Philosophiesvadhyaya – kann Trost spenden und Mut machen. Aus eigener Erfahrung empfehle ich dies von ganzem Herzen.

Wir üben Yoga. Wir üben Verzicht. Wir üben weiter. Dann kannst du vielleicht eines Tages die Süße der Zitrone schmecken.

Herzlich, Eure Monika