OM - Verbot in türkischen Yogastudios
Wir sind in der Zeitung Hürriyet (englische Onlineausgabe) auf diesen Artikel gestoßen:
„Turkish officials ban religious symbols at yoga centers“ (Türkische Ämter verbieten religiöse Symbole in Yogastudios)
->Link
In der Türkei möchte der staatlich geförderte Sportbund HIS ein Verbot einführen lassen, das künftig allen Yogastudios untersagt, religiöse Symbole wie z. B. das OM- Zeichen aufzuhängen, Buddha-Figuren aufzustellen oder Mantra Musik zu spielen. Die Begründung: Religion hätte nichts mit Sport zu tun und das solle auch so bleiben. Auch Symbole aus dem Islam oder Kruzifixe hätten in Sporthallen nichts zu suchen.
Der Vorsitzende des HIS Süleyman Gönülateş äußert sich dazu folgendermaßen:
„Diese Anordnung wurde vom Jugend- und Sportministerium gebilligt. Während der Ausarbeitung dieser Anordnung wurden auch Meinungen von Yogalehrern eingeholt. Wir meinen damit alle Religionen, auch die, die unter “Sonstige” eingestuft werden. Wenn religiöse Symbole in Sportzentren verwendet werden, fängt genau da die Missionsarbeit und die Politik an. Wenn Yoga Sport ist, sollte es frei sein von allem was mit Religion zu tun hat. Wir wollen schließlich auch keine eindeutigen Zeichen wie etwa ein Kreuz in Sportzentren sehen.“
Erol Benjamin Scott, ehemaliger Vorsitzender der Association of Yoga Trainers, bestätigt, dass die Meinungen von Yogalehrern zu diesem Thema durch den HIS eingeholt wurden, sagt aber auch, dass die schlussendliche Anordnung nicht im Einklang mit deren letztendlichen Aussagen ist. Weiter äußert er sich: „Es ist nicht klar, was mit religiösen Symbolen gemeint ist. Kein Verband des Staates sollte sich in diese Angelegenheit einmischen. Das Zitat über die „Sonstigen Religionen“ ist eine geistige Provokation. Yoga ist weit weg davon, eine Religion zu sein, es ist eine Kultur mit 5000 Praktizierenden.“
Uns hat dieser Artikel berührt. Wir haben uns gefragt, wie wir als Yogalehrende darüber denken.
Wir haben uns mit dieser Thematik auseinandergesetzt, beleuchten den Sachverhalt, bieten Erklärungsversuche an und laden Euch ein, eifrig mitzudiskutieren.
Wir sind der Meinung, dass es sich hierbei um ein weit verbreitetes grundsätzliches Mißverständnis handelt, denn Yoga ist weder Sport noch Religion.
„Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedankenbewegungen“ steht in den Yogasutras von Patanjali geschrieben.
Das Wort Yoga bedeutet Einheit. Yoga besteht aus einem ethischen Verhaltenskodex, Körperübungen, Atemübungen, dem Zurückziehen der Sinne, Konzentration, Meditation und schließlich der daraus resultierenden Erleuchtung.
Körper Geist und Seele werden durch Yogapraxis miteinander verbunden, sodass alle 3 Elemente miteinander im Einklang sind. Daraus kann sich eine geistige Entwicklung erschließen, die viele Jahre, Phasen und Etappen durchläuft, bis der Yogi schließlich im überbewussten Zustand seine Verbundenheit mit „Allem-was-ist“ wahrnehmen kann und in glückseliger Extase schwelgt. Wenn dann die yogische Seele den Körper verlässt, tritt sie zudem aus dem Kreislauf von Wiedergeburt und Tod aus und existiert in reinem Bewusstsein bis in alle Ewigkeiten in den Weiten des Nirvana. – soviel zur Theorie.
„Yoga ist „Geschicklichkeit in Aktion“ , so steht es in der Bhagavadgita, damit ist absichtsloses Handeln gemeint.
Es gibt viele gute schlaue Bücher zum Thema, in denen Yoga noch ausführlicher erklärt wird als wir es hier in Kürze vermögen. Link
Wir haben uns überlegt, wie denn eigentlich Sport definiert wird.
„Der Begriff Sport ist eine Kurzform aus dem engl. „disport“ (Vergnügen). Sport beinhaltet immer eine äußerlich beobachtbare Anstrengung (Leistung) oder (Kunst-) Bewegung, die einem persönlichem Können zurechenbar ist und (durch Training) gezielt gesteigert werden kann.“ haben wir in „Meyers Grosses Taschenlexikon“ gefunden.
Durch die Dehnung des Körpers, des Gewebes, der Faszien und durch die Beanspruchung der Muskeln und Gelenke, schenkt uns das Üben der Yogahaltungen (Asanas) viele positive Nebenwirkungen, die auch durch Sport erreicht werden können. Das Üben der Yogahaltungen ist aber nur ein kleiner Teilaspekt des Yogawegs. Außerdem sollte der Leistungsgedanke im Yoga nicht existent sein.
Wir sind uns einig, dass Yoga kein Sport ist – aber ist Yoga Religion?
Wir meinen, die yogische Philosophie ist keine Religion, sondern eine spirituelle Praxis, bei der es vordergründig darum geht, die Gedankenwellen des Geistes zu beruhigen. Und das kann jeder Mensch im yogischen Rahmen üben, egal zu welcher Religion er gehört. Religion ist immer mit Glauben verbunden, und Yoga ist der Weg zu sich selbst. Yoga basiert nicht auf Glauben sondern auf Erfahrung.
Als wir dann nachschauten, wie Religion definiert wird, begannen unsere internen Debatten.
In „Meyers Grosses Taschenlexikon“ haben wir mehrere Bedeutungen gefunden, sowohl „die sorgfältige Beachtung des Kults“ ( aus lat. religere – sorgsam beachten) oder „die Verbindung des Menschen zu Gott“ (aus lat. religare – binden, wieder verbinden) In ersterem würden wir Yoga nicht verorten, in zweitem allerdings schon, je nachdem wie „Gott“ definiert wird.
Und bei wikipedia heißt es u.a.: “Es gibt keine eindeutige Definition von Religion, sondern nur verschiedene Definitionsversuche.“
Einen maßgeblichen Unterschied zwischen Yoga und Religion sehen wir darin, dass Patanjalis Yogasutra keinen Glauben vorschreibt. Es zeigt Entwicklungswege für Menschen die glauben, und bietet alternative Wege an.
Vielleicht kommt es darauf an, mit welcher geistigen Ausrichtung Yoga geübt wird, vielleicht in Abhängigkeit der verschiedenen Yogatraditionen, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Auch durch die Definition von OM wurde unsere ursprüngliche Annahme, Yoga hätte so gar nichts Verbindendes mit Religion, erschüttert.
OM ist ein yogisches Symbol, das seine uralte Wurzel in den Veden hat.
OM ist der Urklang, symbolisiert die Urschwingung des Universums, steht für kosmische Einheit.
OM steht für verschiedene Bewußtseinszustände, wie Wachheit, Traum, Tiefschlaf und das Überbewusstsein.
Om steht auch für Brahma, Vishnu und Shiva, welche ohne Zweifel Bestandteile des Hinduismus sind.
OM ist das universelle Mantra.
(Hier schlagen wir eine Brücke zu den „religiösen Gesängen“, die auch verboten werden sollen.)
Mantren sind zu repetierende Klangformen, dazu gedacht, den Menschen mit dem Göttlichen zu verbinden, indem sie ihn in seinen emotionalen und geistigen Bestrebungen bestärken (aus „Die Yoga Tradition“) Bei dieser Praxis geht es um ständige Wiederholung, diese bringt den Geist zur Ruhe.
Viele Menschen empfinden genau diese Ruhe der Gedanken und den dadurch hervorgerufenen Zustand der Herzöffnung und des Glücks als das Spüren der Verbindung zum All-Einen, manch Einer nennt es auch Gott.
Auch in Patanjalis Yogasutra wird das Rezitieren von OM als Mittel zur Erleuchtung erwähnt (YS 1.27 – 1.29). Om steht für ishvara (ishvara = Gott, Grundvertrauen, …., etwas Höheres als wir). Das demütige Wiederholen der für ishvara stehende Silbe schafft eine Verbindung zum Höchsten. So steht es auch in der Bhagavadgita im 8. Kapitel, 13.Vers.
Das ist die Unterscheidung: Patanjali bietet Gläubigen an, über das Rezitieren von OM zum Höchsten zu finden. Es ist aber nur ein Weg unter mehreren, es wird nicht ausdrücklich empfohlen.
Die Überschneidung mit dem Religiösen liegt vielleicht darin, dass OM nicht nur im Yoga, sondern in fast allen indischen spirituellen Strömungen verwandt wird.
Bei Buddha ist die Erklärung einfacher, denn die Buddhafigur steht als Symbol für den Buddhismus, eine der fünf großen Weltreligionen. Gautama Buddha hat sich zu Lebzeiten ein Selbstbildnis ausdrücklich verbeten. Die ersten Abbildungen wurden postmortem angefertigt.
Der Buddhismus ist kein Teil von Yoga und somit hat genau genommen eine Buddhafigur nichts im Yogaumfeld zu suchen.
In unserem Lebensumfeld werden Buddhafiguren mittlerweile inflationär eingesetzt und sind zum reinen Dekoobjekt geworden, was nicht wundert, denn dieses Symbol ist ein Sinnbild für die Suche nach der eigenen Ruhe.
Was sind religiöse Symbole?
Das Wort „Symbol“ (altgriechisch Kenn-Zeichen) wird in „Meyers Grosses Taschenlexikon“ übersetzt mit: „Sinnbild, das stellvertretend für etwas nicht Wahrnehmbares (auch Gedachtes und Geglaubtes) steht“. Es sagt an sich, dass es um eine Vorstellung von etwas geht, das nicht gegenwärtig sein muß.
In unserem Fall bedeutet es, dass die genannten Symbole vom HIS ausschließlich religiös eingeordnet werden. Wir sagen aber, sie werden von uns zu etwas Religiösem gemacht – oder eben auch nicht. Entweder ich verehre die vor mir stehende Buddha-Figur stellvertretend für die Person Buddha, oder ich verwende sie als moderne Dekoration am Gartenteich. – it´s up to you!
Das gleiche gilt für das Symbol OM. Es kommt darauf an, welche Einstellung dahinter steht. Für den gläubigen Hindu hat das Symbol eine andere Bedeutung als für einen Yogapraktizierenden in der westlichen Welt.
In deutschen staatlichen Grundschulen wurden 1995 religiöse Symbole (gemeint war das christliche Kreuz) verboten. Dieses Urteil wurde im Jahr 2011 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben. Man sieht also, dass auch bei uns darüber debattiert wird.
Wir sind ein Team von Yoga-Lehrerinnen, die verschiedene Sichtweisen haben, die sicherlich auch durch unterschiedliche Traditionen geprägt sind:
- Aus meiner Sicht ist Yoga in erster Linie Freiheit. Durch die Praxis von Yoga kommen die Gedanken zur Ruhe, Klarheit kann entstehen, aus klaren Gedanken können klare, richtige Entscheidungen getroffen werden.
Es gibt im Yoga nicht den einen, sondern den individuellen Weg.
- Für mich ist Yoga eine Entdeckungsreise im Hier und Jetzt innerhalb unseres Kosmos und zugleich ein „nach Hause kommen“.
- Ich kann beide Seiten irgendwie verstehen. Wer Yoga nicht selbst erfährt, kann sich schwer hineinversetzen und kaum verstehen, was bei regelmäßiger Praxis mit dem eigenen Innenleben geschieht. Das in öffentlichen Sporthallen keine religiösen Symbole erscheinen sollten, halte ich für sinnvoll, aber was ein Yogi in seinem eigenen Yogastudio für Mantren singt oder für Om-Poster aufhängt, geht niemanden etwas an.
Vielleicht sollte dem HIS einfach zum besseren Verständnis gesagt werden, dass Yoga kein Sport ist, sondern eher eine Entspannungstechnik, oder besser – warum schenken wir Süleyman nicht einfach eine Zehnerkarte?
Wir veröffentlichen diesen Text im Bewusstsein, dass er unfertig ist und mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Dieser Text ist als Anregung zur eigenen Kontemplation, zum eigenen Nachdenken gedacht.
Wir laden Dich ein mit uns zusammen dieses Thema weiter zu vertiefen.
Ist das OM für Dich heilig?
Ist Yoga für Dich eine Religion oder eher Sport, oder was ist Yoga für Dich?
Wir freuen uns auf Deinen Kommentar.
Das yoga108-Team
Danke für euren Blog! Je länger ich Yoga praktiziere, desto mehr bin ich tatsächlich überzeugt, dass meine Yogapraxis religiöse Elemente enthält. Meditieren, Mantren singen und das OM SIND religiöse Praktiken. Das ist meines Erachtens nicht weg zu diskutieren.
Ich würde als Yogalehrer niemals einem „jungen“ Yogi erklären wollen, dass er gerade im Begriff ist, eine religiöse Handlung zu vollziehen, aber in der Tat ist es nach meiner Auffassung so. Und ich bin sogar froh, das so sehen zu können/wollen, denn ich halte wirklich nicht viel von Esoterik, die ja gerne als Ersatz für das Wort Religion im Rahmen von Yogapraxis verwendet wird.
Ihr schreibt, dass Yoga eine spirituelle Praxis ist – voilà! Spirituelle Praxis wird in den meisten Fällen in einem religösen Kontext geübt. Und historisch ist Yoga definitiv eine Religion, sie basiert ja schließlich auf den Veden, die nach meiner Auffassung eine kulturell östliche Variante des Alten Testaments sind.
Was uns als intensiv praktizierende Yogis vielleicht anfangs erschreckt bei der Erkenntnis, zumindest ging es mir so, dass wir eigentlich vielleicht dachten, wir tun was für Körper und Seele, das hat aber nix mit dem Pfarrer auf der Kanzel zu tun. Hmmm, im Yoga huldigen wir sehr viel dem „Guru“. Der Guru kann ich selbst sein, kann mein Yogalehrer sein, kann mein bester Freund sein, situationsbezogen jedes Individuum, von dem ich etwas lernen kann. Ok, wenn ich diesen Erkenntnisgewinn aber wirklich mal hinterfrage, werde ich vielleicht feststellen, dass ich selbst ja nur durch die Hilfe Dritter diese Erkenntnis gewonnen habe, aber eben ICH diese Erkenntnis gewonnen habe, bin ich dann also selbst mein Guru? Ist mein Guru vielleicht Krishna / Gott / wieauchimmerichihnnenne und wohnt der vielleicht in meiner Seele inne? Jetzt wirds vielleicht ein wenig kompliziert für viele aber spannendes Thema und ich freue mich auf viele weitere Kommentare hier. Jai!