Fühlst du noch oder trackst du schon?
Im Zusammenhang mit der IFA, die gerade in Berlin stattfandt, lese ich über Phantasien der Geräteentwickler, dass man in Zukunft nicht mehr persönlich zum Arzt gehen muß, sondern nur noch die Daten des Fitness-Trackers übertragen werden.
Wie praktisch, wieder Zeit gespart. In überfüllten Wartezimmern steckt man sich ja sowie mit den Viren und Bazillen der anderen an!
Wir sollen durch das Tragen eines Fitness-Armbands „gesünder leben“.
Doch wer bestimmt, was gut ist und was nicht, wer programmiert, und in wessen Auftrag?
Gefördert wird ein Schneller, Höher, Weiter, wir werden „ermuntert“ noch mehr zu tun, uns mit anderen Athleten zu vergleichen, Ehrgeiz wird geweckt, wir werden angetrieben, wir sollen „Fitnessziele erreichen“. Wir optimieren uns für Leistungsfähigkeit.
Ist „gesünder leben“ nicht auch zufrieden zu sein, mich so anzunehmen wie ich bin? Vielleicht bin ich etwas langsamer, bedächtiger, nicht leistungsorientiert und nicht in der Lage so viele Schritte zu tun.
Was ist mit Nichtstun, mit Zeit für Muße und Einkehr? Sind 2000 hektische Schritte besser als eine Stunde sitzend auf dem Meditationskissen verbracht? Was fördert meine Gesundheit wirklich? Wer bestimmt darüber? War Buddha fit?
Wir sind so unterschiedlich, haben verschiedene Grundkonstitutionen. Aus dem Avurveda kennen wir die drei Energietypen Vata, Pitta und Kapha. Ich sehe den bewegten Vata-Typ vor mir, der sich durch sein Fitnessarmband zu noch mehr Aktivität angestachelt fühlt, und dadurch vollends aus der Balance gerät.
Es geht doch immer um das richtige Maß – Aktivität, Schlaf und Ernährung – nicht zu viel und nicht zu wenig. Um die Balance zu finden, ist es besser, die eigene Wahrnehmung zu schulen, statt sich auf einen Computer zu verlassen. Wir kappen die Verbindung zur Körperwahrnehmung, wenn wir uns auf das Außen ausrichten, und dem Gerät mehr vertrauen als unserer Intuition.
Vielleicht verschafft uns ein Wearable ein vermeintliches Sicherheitsgefühl, das Gefühl, wir hätten Kontrolle über unsere Gesundheit?
Wir Yogis geben die Deutungshoheit über unser Wohlbefinden nicht ab!
Wir Yogis lassen unser Leben nicht von Algorithmen bestimmen!
Wir Yogis fühlen selbst, statt gefühlt zu werden!
Monika
Und hier sind noch ein paar Gedanken zum Thema:
Keine Phantasie ist, dass die ersten Krankenkassen Rabatte auf Risikolebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen versprechen, wenn ein Fitnessarmband genutzt wird und die erhobenen Daten zur Verfügung gestellt werden.
Du kannst z.B. Punkte sammeln für 10.000 Schritte am Tag – natürlich alles nur zu deinem Besten. Die Versicherungen wollen uns motivieren, Junge und Gesunde können sparen. Und was ist mit Alten und Kranken? Die können die Rabatte nicht nutzen. Wir steigen aus dem Solidarprinzip aus, wenn wir die Vorteile abgreifen. (denke mal an das Yama aparigraha, nicht gierig sein, nutze nicht die Gelegenheit)
Die „Privaten“ haben schon früher tolle Konditionen angeboten für junge Menschen, für Selbständige, für bestimmte Berufsgruppen. (Als Yogalehrende wurde auch ich umworben, aber dankend lehnte ich ab, ich bleibe gesetzlich versichert). In meinem Bekanntenkreis gibt es einige Selbständige, die vor Jahren die günstigen Konditionen genutzt haben und nun (über 60) kaum noch die hohen Beiträge stemmen können, denn die Beiträge erhöhen sich im Alter.
Je mehr Fitness-Tracker getragen werden, je selbstverständlicher es wird, desto größer wird der Druck auf alle, die Wearables auch zu nutzen. Wer es nicht tut, macht sich verdächtig (du willst nichts für deine Gesundheit tun, dann können wir dich auch nicht mehr unterstützen/versichern). Was passiert, wenn du einen Unfall hast und deine Schritte nicht mehr gehen kannst?
Die Geräte sind stylisch, sind ein Statussymbol. Sie symbolisieren: “Ich bin fit, ich achte auf meine Gesundheit, ich optimiere mich zu maximaler Leistungsfähigkeit“.
Doch viele dieser Wearables weisen Fehler in den Messdaten auf. Die meisten Geräte senden eine eindeutige ID, was eine Langzeit-Überwachung möglich macht. Und da sind wir bei der Frage nach dem Datenschutz. Die Daten sind natürlich ganz sicher, und es werden ja auch nur ganz harmlose Daten gespeichert, wie Schlafdauer, Schritte pro Tag und Herzfrequenz. Und was ist später, wenn die Technik fortgeschritten ist, was wird noch gesammelt. Ist dies der Weg zum „gläsernen Patienten“?